Hotelmarkt Deutschland – jetzt kaufen?

Eine ganze Dekade lang kannte der Hotelmarkt nur eine
Richtung, und die zeigte nach oben. Wie reagiert der Markt
auf die aktuellen Covid-19-Auswirkungen und welche
Prognosen lassen sich abgeben? Wir sprachen dazu mit dem
Hotelmarktexperten Christian Ott-Sessay.

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FOTO: O-SC

JULIUS SOMMER Die Hospitality-Branche blickt auf ein sehr dynamisches Jahrzehnt zurück …

CHRISTIAN OTT-SESSAY Nach einer sehr anspruchsvollen Ausgangssituation als Folge der Wirtschaftskrise 2008/2009 konsolidierte sich im europäischen Vergleich besonders das deutsche Gastgewerbe überdurchschnittlich gut. Im Betrachtungszeitraum 2010 –2015 lag etwa die Umsatzentwicklung im Beherbergungsgewerbe mit rund 29 % beinahe bei dem Doppelten der Gesamtwirtschaft. Gut ablesbar ist diese positive Entwicklung auch am marktspezifischen Kennwert der Gästeankünfte, der im Zehnjahreszeitraum um mehr als ein Drittel auf über 150 Millionen Gäste in 2019 anwuchs.


JULIUS SOMMER Welche Auswirkungen hatte diese positive Entwicklung auf die Angebotsseite?

CHRISTIAN OTT-SESSAY Der deutsche Hotelmarkt ist, bei allem medialen Fokus auf spektakuläre und moderne neue Hotelmarken und Produkte in den touristischen Top-Destinationen und Metropolen, weiterhin sehr mittelständisch geprägt. Fast 60 % der klassischen Beherbergungsstätten (Hotels, Hotel Garnis, Gasthöfe und Pensionen) verfügen über weniger als 20 Zimmer und erwirtschaften einen Jahresumsatz unter 250.000 Euro. Die starke Zunahme der Gästezahlen und besonders der internationalen Gästeankünfte (bis Q1 2020) hat jedoch dem Städtetourismus einen deutlichen Wachstumsschub gegeben. Und hier sehen wir auch eine eindeutige Bewegung hin zu größeren Betriebseinheiten und vor allem den Wunsch nach Produkten mit eindeutigen Marken- und damit erwartbaren Qualitätsversprechen.

JULIUS SOMMER Die Markenhotellerie übernimmt also eine Vorreiterrolle?

CHRISTIAN OTT-SESSAY Mit rund 11 % steht die Marken- und Kettenhotellerie (Betriebe mit mindestens vier Hotels) in Deutschland zwar nur für einen kleinen Teil des Gesamtmarkts. Betrachtet man allerdings die Anzahl der verfügbaren Gästezimmer, belegt die Kettenhotellerie bereits einen Marktanteil von über 26 %. Besonders spannend ist hier die kontinuierliche Entwicklung hin zu ausdifferenzierten Submarken, die ein internationales und anspruchsvolles Gästeklientel mit authentischen und individuellen neuen Übernachtungserlebnissen bedienen sollen.

JULIUS SOMMER Was bedeutet die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöste Krise für den Hotelmarkt?

CHRISTIAN OTT-SESSAY Diese Krise trifft den Hotelmarkt natürlich unmittelbar und mit besonderer Härte. Das Beherbergungsgewerbe ist aber seit jeher eng verflochten mit dem direkten stadträumlichen, urbanen Umfeld. Und hier sehen wir, wie die Krise als Beschleuniger auch in anderen, wesensnahen Bereichen wie der Gastronomie und dem Einzelhandel einen bereits seit einiger Zeit stattfindenden Wandel vorantreibt.

JULIUS SOMMER Und welche Chancen eröffnen sich?

CHRISTIAN OTT-SESSAY Der Hotellerie eröffnet sich die große Chance, an tradierte Qualitäten und Konzepte anzuknüpfen, die seit jeher einen besonders hohen Stellenwert eingenommen haben: beispielsweise der Bezug zum direkten Umfeld, abgestimmte und individuelle Services und Dienstleistungsangebote, Versammlungsort und Treffpunkt. Dabei kommen ihr viele in der hochkompetitiven Wachstumsperiode der letzten Dekade gelernten Fähigkeiten zur Hilfe: verbesserte digitale Managementtechniken, etablierte neue Services, zum Beispiel in den Bereichen Co-Working oder Co-Living, enormer Agilitätszuwachs in der Kundenkommunikation (Revenue Management). Und nicht zuletzt ein erheblich gestiegenes Verständnis der Wertschöpfungskette von der Investition bis zur Repositionierung. Innovative Hotelprodukte sind heute mit Mixed Use Assets unter einem betrieblichen Management vergleichbar.

JULIUS SOMMER Das heißt, Hotels übernehmen Marktplatzfunktionen?

CHRISTIAN OTT-SESSAY Diesen Trend gibt es auf jeden Fall und durchaus erfolgreich, wie Konzepte in allen Kategorien belegen, beispielsweise das SOHO house, The Student Hotel oder die Stayery; mit jeweils ganz unterschiedlichen Geschäftsmodellen, aber im Ergebnis tollen und angenommenen Angeboten auch für die unmittelbare Nachbarschaft. Es ist nicht unrealistisch zu erwarten, dass neue Angebote zukünftig noch häufiger Funktionen und Positionen marktausscheidender Einzelhändler übernehmen können. Die Tools für eine dynamische Flächenbewirtschaftung sind vorhanden und werden immer ausgefeilter.

JULIUS SOMMER Wann wird sich der Markt wieder erholen?

CHRISTIAN OTT-SESSAY Der Beherbergungsmarkt wird sehr schnell wieder an seine vergangenen Erfolge anknüpfen. Die zweifellos heftige Disruption wird den innovativen Marktakteuren Chancen und Flächen zuspielen. Einige Karten werden sicherlich neu gemischt und vielleicht wird auch der eine oder andere alte Zopf etwas schneller abgeschnitten, als es sonst der Fall gewesen wäre. Die starke Serviceorientierung der Hospitality-Branche war und ist seit jeher ihre größte Stärke und lässt auch für die Zukunft viele neue und spannende Produkte und Angebote erwarten.


JULIUS SOMMER Vielen Dank für das Gespräch!