Die Irrung und Wirrung des Berliner Mietendeckels
Der Mietendeckel in Berlin hat in den letzten Monaten für viel Aufsehen gesorgt. Julius Sommer hat mit Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverbands Deutschland (IVD), über die aktuelle Lage und ihre Folgen für den Immobilienmarkt gesprochen.
JULIUS SOMMER Und wie waren die Veränderungen auf der Seite der Investoren, gab es da mehr Zurückhaltung?
JÜRGEN M. SCHICK Viele internationale Investoren und Family Offices haben zunächst das höchstrichterliche Urteil abgewartet. Das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat und in die Verlässlichkeit der deutschen Politik war erschüttert. Es gab viel Kopfschütteln, weil allen klar war, dass die Politik des Berliner Senats unverantwortlich war. Man kannte ja auch die Folgen solcher radikalen Eingriffe aus anderen Metropolen. In Stockholm und Genf etwa ist der Mietwohnungsmarkt sehr streng reguliert – mit der Folge, dass die Mieten sehr hoch sind, es einen Graumarkt für Mietverträge gibt und kaum noch saniert wird. Investoren haben nun aufatmen können, weil Karlsruhe die Berliner Regierung in die Schranken gewiesen hat. Aber das ist kein Grund zur Euphorie: Viele Investoren haben Gelder nicht in Berlin investiert. Die Baugenehmigungszahlen gehen in der deutschen Hauptstadt seit Jahren zurück, während sie deutschlandweit steigen. Andererseits sehen viele private und professionelle Anleger Berlin immer noch als spannenden und chancenreichen Immobilienmarkt an und sorgen damit für ein stabiles Preisniveau für Eigentümer, die heute lieber verkaufen.
JULIUS SOMMER Werden die Preise in Berlin jetzt wieder steigen?
JÜRGEN M. SCHICK Die Preise für freie Eigentumswohnungen haben ja gar keine Pause eingelegt, sie kennen nur eine Richtung. Das muss man aber im Kontext sehen. Berlin kommt von einem sehr niedrigen Kaufpreisniveau. Das ist historisch bedingt. Vor einigen Jahren noch war Berlin die zweitgünstigste Hauptstadt Europas – auf Platz 1 war Tirana, die Hauptstadt Albaniens. Dieses Nachholpotenzial ist auch für Deutschland einmalig, zumal Berlin sehr attraktiv ist für internationale Tech-Unternehmen. Für Mehrfamilienhäuser sieht die Situation anders aus. Hier gab es in den vergangenen Jahren sehr positive Kaufpreisentwicklungen, manche Erwartungen waren aber auch überzogen – und das gilt unabhängig vom Mietendeckel. Denn auch ohne Mietendeckel ist Berlin streng reguliert, Stichwort: Milieuschutz, Vorkaufsrechte, Abwendungsvereinbarungen. Für viele Eigentümer kann es also durchaus interessant sein, die Gewinne der vergangenen zehn bis fünfzehn Jahre jetzt zu realisieren und die Investitionsstrategie anzupassen. Aber natürlich hat sich der Himmel seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgehellt und der Zinshausmarkt an der Spree gewinnt wieder mehr Optimismus.
JULIUS SOMMER Was passiert mit MFH und Aufteilerprojekten? Wir sehen ja, dass immer mehr Bezirke hier Milieuschutz ausweisen und Aufteilungsverbote kommen.
JÜRGEN M. SCHICK Die Aufteilung und anschließende Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen wird auch unabhängig vom Baulandmobilisierungsgesetz in den kommenden Jahren schwieriger. Schon heute darf man beim Kauf eines Mehrfamilienhauses in Milieuschutzgebieten nicht privatisieren, sondern hat Sperrfristen von mehreren Jahren. Das wird aber in Zukunft noch schwieriger. Denn es hält sich das hartnäckige Gerücht, dass privatisierte Mietwohnungen für die Mieter mehr Unsicherheit mit sich bringen. Das stimmt zwar nicht, weil gerade private Vermieter vor allem eines wollen: langfristige und zufriedene Mieter, die verlässlich ihre Miete zahlen. Dennoch lässt sich daraus politisch Kapital schlagen. Für Eigentümer von Mehrfamilienhäusern bedeutet das: Aufteilung, zum Beispiel, um Kindern einzelne Wohnungen zu vererben, wird schwieriger. Und der Wiederverkauf geht häufig auch nur noch global. Auf der anderen Seite führt dies zu einer Professionalisierung des MFH-Markts: Wer in ein Mehrfamilienhaus investiert, braucht ein kluges Assetmanagement und eine kluge Hausverwaltung, damit Renditepotenziale langfristig gehoben werden.
JULIUS SOMMER Sie sind mit Ihrer Firma vorwiegend im Bereich Investment tätig: Welche Stadtviertel sind aktuell noch unterbewertet und bieten Ihrer Meinung nach noch Potenziale für eine Investition?
JÜRGEN M. SCHICK Sie müssen die Frage umdrehen und die Perspektive des Investors einnehmen. Berlin ist eine sehr spannende, dynamische, wachsende Stadt – und Investoren müssen sich fragen, was sie genau suchen. Für viele Family Offices, Stiftungen und auch private Investoren ist eine Immobilie in der deutschen Hauptstadt sowohl eine interessante Kapitalanlage als auch ein Prestigeobjekt. Entsprechend haben Mehrfamilienhäuser in Berliner Bestlagen sowohl ihren Preis als auch ihren Wert. Trotzdem sollten sich Investoren fragen, wo die Grenzen Berlins verlaufen. Für manche Käufer lohnt sich daher auch der Blick jenseits der Berliner Stadtgrenze – hier gibt es viele Potenziale, die man nicht sofort auf dem Schirm hat, weil der Standort offiziell zu Brandenburg zählt, im Alltag aber zum Einzugsgebiet von Berlin gehört. Ich persönlich finde einfache und mittlere Lagen sehr spannend. Hier gibt es noch immer gute Kaufgelegenheiten. Als Vermieter bieten sie dem Wohnungsmarkt in diesen Lagen bezahlbare Wohnungen, woran es ja spürbar mangelt.
JULIUS SOMMER Welche Stadtviertel würden Sie nicht anfassen als Investor?
JÜRGEN M. SCHICK Man muss nicht zwingend da ein Mehrfamilienhaus kaufen, wo man auch persönlich wohnen möchte. Ich würde mich vielmehr fragen, ob in der jeweiligen Lage, wo sich ein mögliches Zinshaus befindet, auch in 50 oder 100 Jahren noch Mietwohnungen nachgefragt werden. Wer das klar mit Ja beantworten kann, hat schon eine wichtige Frage beantwortet. Manche Käufer haben keine Lust auf den Ärger in den sozialen Erhaltungsgebieten, die missbräuchlich über weite Bereiche der Innenstadt gelegt werden. Ein Erwerb in diesen Milieuschutzgebieten ist oftmals mit einem gewissen Nervenkitzel verbunden. Erwerber müssen nach der Beurkundung abwarten, ob ein Bezirk mit Steuermitteln sein Vorkaufsrecht zieht. Dabei muss man eben auch die Gefahren sehen. Ein Investor geht ja mit der Beratung und Due Diligence in Vorleistungen, und es gibt keine Garantie, dass man am Ende des Tages nicht in einem Milieuschutzgebiet vom Bezirk ausgebootet wird. Das ist also immer eine Frage der Abwägung und des Sicherheitsbedürfnisses. Das schließt wiederum den Kreis zu dem, was ich vorhin gesagt habe: Diese Regulierung führt zu einer Professionalisierung der Käufer und des anschließenden Managements, die notwendig sind, um die Klippen der Bürokratie richtig zu umfahren.
JULIUS SOMMER Ein Blick in die Zukunft: Der Mietendeckel ist gefallen. Was wird der Berliner Senat nun noch unternehmen, um Mieten und Wohnraum zu regulieren?
JÜRGEN M. SCHICK Ich hoffe sehr, dass der Berliner Senat und auch die zukünftige Bundesregierung das klare Votum aus Karlsruhe verstanden haben und den Mietendeckel ad acta legen. Das Berliner Gesetz war bereits formellrechtlich verfassungswidrig. Was beim Thema Mieten und Wohnraum hilft, ist, schneller, mehr und günstiger zu bauen – das sollte der Berliner Senat wirklich und ehrlich angehen. Die Erfolge einer gelungenen Baupolitik sehen wir in anderen deutschen Metropolen undBallungsgebieten. Überall dort, wo in den vergangenen Jahren Wohnraum geschaffen wurde, stabilisieren sich die Mieten oder gehen gar zurück – von großen Mietpreissprüngen spricht da keiner mehr.
JULIUS SOMMER Wie schätzen Sie die Situation für die Zukunft auf Bundesebene ein, wird es hier einen Mietendeckel geben?
JÜRGEN M. SCHICK Ich sprach gerade von der formellrechtlichen Verfassungswidrigkeit des Mietendeckels. Für mich steht fest: Auch materiellrechtlich würde das Bundesverfassungsgericht einen pauschalen Mietendeckel kassieren. Dennoch wollen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke einen Mietendeckel auch auf Bundesebene einführen. Das würde dann bis zu einer Entscheidung in Karlsruhe bundesweit zu Stillstand bei Investitionen führen und langfristig viele Investoren vom deutschen Immobilienmarkt verschrecken. Insgesamt aber sehe ich für eine solche Gesetzesinitiative auch statistisch betrachtet keine Grundlage mehr, da die Mietpreise ein Plateau erreicht haben und wir keineswegs überall in Deutschland eine mit Berlin vergleichbare Situation haben.
JULIUS SOMMER Als Präsident des IVD sind Sie ja auch in politische Themen auf Bundesebene involviert. Wie sehen Sie die Zukunft Deutschlands bezüglich der aktuellen politischen Stimmung mit Themen wie Mietendeckel, weiteren Regulierungen und Enteignungen, die ja doch einen massiven Eingriff in den Markt bedeuten?
JÜRGEN M. SCHICK Viele Akteure in der Politik, aber auch in den öffentlich-rechtlichen Medien spielen seit Jahren Mieter und Vermieter gegeneinander aus. Das finde ich persönlich untragbar. Diskussionen und Streit sind Bestandteil unserer lebendigen Demokratie, aber mich befremden Aufrufe zur und die Rechtfertigung von Gewalt, ganz gleich, gegen wen diese gerichtet sind. Wir haben in Deutschland eine Situation, in der viele Menschen glauben, dass der Staat es schon richten werde. Konkret auf die Immobilienwirtschaft bezogen wird dann daraus: Der Staat sei der bessere Bauherr und der bessere Vermieter. Dem ist nicht so. Es wäre klug, wenn jetzt die politisch Verantwortlichen sich klar dazu bekennen, dass bezahlbarer und ausreichender Wohnraum nur gemeinsam mit der privaten Wohnungswirtschaft möglich ist. Ob die Politik dazu bereit ist, wird sich alsbald zeigen. Ich will meinen Beitrag zu einer Versachlichung der Debatte leisten.
JULIUS SOMMER Vielen Dank für das Gespräch!